Am Beispiel von größeren Siedlungsprojekten lässt sich ganz anschaulich darstellen, wie sich das Wohnen in Hamburg in den letzten 100 Jahren verändert hat.
Angefangen bei der Steenkampsiedlung in Altona, die letztendlich zur Gründung der SAGA führte, der städtischen Wohngesellschaft in Hamburg. Bis zum Pergolenviertel, dass in Teilen schon bewohnt wird und im nächsten Jahr fertiggestellt werden soll.
Betrachtet man die Projekte genauer, kann man schnell erkennen, welche Ideen sich auch heute noch in der Stadtplanung wiederfinden. Auch erklären sich damit die verschiedenen Entwicklungen der Vergangenheit, denn jede Neuigkeit ist eine Reaktion auf den letzten Entwicklungsschritt, jeweils in Zusammenhang mit den allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignissen.
Das alles macht Baukultur aus. Denn Architektur ist ein standhaftes Zeugnis der Vergangenheit, aus der wir die Chance haben zu lernen.
Die Steenkampsiedlung ist nicht die erste große Wohnsiedlung in Hamburg. Vorher gab es an verschiedenen Orten der Stadt Gängeviertel. Diese entstanden aufgrund der damals schnell ansteigenden Bevölkerungsdichte der Stadt. In den Gängevierteln herrschten unzumutbare Zustände. Sehr dichte Bebauung, dichte Wohnbelegung und ein fehlendes Abwassersystem führten 1892 zu einer verheerenden Choleraepidemie.
Daraufhin bekamen die Reformgedanken Oberhand, die eine zweigeschossige Bebauung, mit einem großen Garten zur Selbstversorgung vorsah. Dies verhinderte eine dichte Bebauung, wodurch immer Licht und Luft garantiert werden konnte. Die erste Gartenstadt in Deutschland entstand ab 1909 in Hellerau, heute ein Stadtteil von Dresden.
Nach dem Vorbild der ersten Musterhäusern, die auf der Altonaer Gartenbauausstellung von 1914 zu sehen waren, wurde der erste von drei Bauabschnitten der Steenkampsiedlung am Riemenschneiderstieg errichtet und 1919 fertiggestellt. Die Gebäudetypen in dieser Straße haben eine dörfliche Anmutung.
In den weiteren Bauabschnitten wurden dann wesentliche Änderungen hin zu einer schmucklosen Reformarchitektur vorgenommen. Dort spielte auch die Farbgestaltung eine wesentlich größere Rolle. Mit definierten Haustypen konnte eine günstige serielle Bauweise umgesetzt werden.
Ausgelöst durch die Inflation nach dem ersten Weltkrieg, kam es mehrfach zu Eigentümerwechseln der Siedlung. Im Jahr 1922 ging die Siedlung an die Stadt Altona über. Diese gründete die Siedlungs- und Aktiengesellschaft Altona. Hamburgs städtische Wohnbaugesellschaft ist heute besser unter ihrem Kürzel SAGA bekannt.
Einen sehr guten Überblick zur Entstehungsgeschichte der Steenkampsiedlung lässt sich im Bauheft vom Schaff Verlag nachlesen. www.schaff-verlag.de
Standort und weitere Infos auf www.mapofarchitecture.com
Die Steenkampsiedlung war als erschwingliche Lösung für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln gedacht. Aber es wurde schnell klar, dass die Wohnungsnot zu groß ist und diese nur mit einem massiven Neubau an mehrstöckigen Mehrfamilienhäusern zu bewältigen sein wird. Zum Vergleich, im Steenkamp wohnen etwa 1.500 bis 2.000 Menschen, in der Jarrestadt sind es fast 10.000. Und das auf einer ähnlich großer Fläche.
Trotzdem ist bei der Jarrestadt alles anders, im Vergleich zu den lange vorherrschenden Gängevierteln und anderen bisherigen Wohnquartieren.
Fritz Schumacher, der erst drei Jahre vorher Oberbaudirektor geworden ist, konnte mit diesem Projekt seine Ideen unter dem Credo „Sonne, Licht und Luft“ umsetzen. Den Städtebau, also die Anordnung von Gebäuden und Grünflächen, nahm Schumacher dann auch selbst vor. Damit war garantierte, dass das Areal nicht zu dicht bebaut wurde und viele Grünflächen entstanden.
Für die Gebäude der Jarrestadt wurde ein Wettbewerb ausgelobt, dabei gingen 214 Entwürfe ein. Den Wettbewerb hat mit Karl Schneider ein Vertreter des Neuen Bauens (auch unter Bauhaus-Stil bekannt) gewonnen. Bei der Umsetzung waren dann zehn verschiedene Architekten beteiligt. Durch die damalige Inflation mussten die Wohnungen viel teurer als geplant vermietet werden. Somit konnten sich die überwiegend 60 Quadratmeter großen Wohnungen nur besser Betuchte leisten.
Die Gebäude der Jarrestadt sind überwiegend als Blockrandbebauung entstanden. Damit konnten zwischen den Häuserzeilen große Grünfläche entstehen, die noch heute den Charme der Siedlung ausmachen. Eine Idee, die auch bei aktuellen Bauprojekten angewendet wird. Mehr dazu weiter unten.
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Nach der Jarrestadt machen wir mit den Grindelhochhäusern zeitlich einen großen Schritt. Während der Zeit der Nationalsozialisten wurde der Heimatstil hochgehalten und verklärt angewendet. In dieser Zeit wurden zum Beispiel aus Flachdächer Schrägdächer aufgesetzt. Denn das Neue Bauen wurde als entartet diffamiert.
Die Grindelhochhäuser gelten deswegen als ein markantes Ausrufezeichen für die Zeit nach dem Dritten Reich. In dem Gebäudekomplex spiegelt sich nicht nur der vom Bauhaus geprägte Stil des Neuen Bauens wieder, es zeigen sich auch die neuen städtebaulichen Ansätze der aufgelockerten Stadt.
Die insgesamt 12 Blöcke oder Scheiben werden überwiegend als Wohnhäuser genutzt. Ein Verwaltungsbau wird vom Bezirksamt Eimsbüttel genutzt, ein anderer Block ist mit Wohnungen und Büro gemischten ausgestattet. In fünf der Häuser sind im Untergeschoss und ersten Obergeschoss Lädengeschäfte, die heute überwiegend als Büroflächen oder von Betreuungsanbietern genutzt werden.
Die Grindelhochhäuser wurden nach dem zweiten Weltkrieg von den britischen Besatzern für die Unterbringung der eigenen Angehörigen geplant. Mit der Planung und Umsetzung wurde ein Architektengruppe mit Bernhard Hermkes, Bernhard Hopp, Carl Karpinski, Rudolf Lodders, Rudolf Jäger, Albrecht Sander, Ferdinand Streb, Fritz Trautwein und Hermann Zess beauftragt. Die wichtigsten Materialien waren schon beschafft, die Fundamente schon errichtet. Da entschlossen sich die Briten 1946 ein Bi-Zone zu schaffen und ihr Hauptquartier mit Streitkräften der US-Armee zusammenzulegen. Somit war die eigentliche Nutzung nicht mehr gegeben.
Die Planungen wurden in die Hände der Stadt gelegt. Zuerst blieb unklar, ob nicht doch die alte Häuserstruktur wiederhergestellt werden soll. Doch der Wohnungsmangel war in dieser Zeit so eklatant, dass man ein Projekt mit mehr als 2100 Wohnungen bauen musste. So wurden die Grindelhochhäuser zur ersten Hochhaussiedlung in Deutschland. Nach der Fertigstellung 1954 waren die Hochhäuser so spektakulär, dass sogar Busse mit Stadtrundfahrten extra dort entlangfuhren.
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Als die Bautätigkeiten für die Siedlung Mümmelmannsberg 1970 starteten, ahnte noch niemand, dass das Jahrzehnt durch Krisen geprägt sein wird. In den Jahren nach 1945 begann ein wahrer Bauboom, denn der Krieg hatte eine große Wohnungsnot zur Folge. Um diese zu lindern, waren zehntausende Wohnungen nötig.
Das alles änderte sich im Jahr 1973 als aufgrund der politischen Folgen des Jom-Kippur-Krieges der Ölpreis explodierte. Das wiederum zog eine Rezession nach sich, bei der sich auch die Baupreise verdoppelten. Schon ein Jahr später galt der Wohnungsmarkt als gesättigt und viele Wohnungen standen leer. Die iranische Revolution 1978 riss die erst leicht erholte Baubranche wieder nach unten.
In den 1960er Jahren wurde die „Tafelbauweise“, also das Bauen mit vorgefertigten Betonteilen immer mehr zur Normalität. Diese kam auch in Mümmelmannsberg zum Einsatz, in der späteren Bauphase mit vorgeblendeten Ziegelmauerwerk. Zu dieser Zeit wurden die Plattenbauten von vielen renommierten Architekturbüros als innovativ eingeschätzt und genutzt. Zudem konnte damit die Baukosten niedrig gehalten werden.
Städtebaulich folgte der Entwurf der Siedlung den Idealen der gegliederten und aufgelockerten Stadt, allerdings mit einer höheren Dichte. Dies galt zu der Zeit als eine modern städtische Entwicklung. Dabei wurde auf eine gute Mischung der Wohnungsgrößen Wert gelegt, um eine möglichst große Durchmischung bei den Bewohner*innen zu garantieren. Doch dieses Vorhaben scheiterte, wissenschaftlich nachgewiesen am Beispiel der Bremer Siedlung Neue Vahr.
Auf jeden Fall trugen Siedlungen wie Mümmelmannsberg dazu bei, die Wohnungsnot zu beenden. Zeitweise wohnten hier 24.000 Menschen. In den letzten Jahren wurde die Siedlung nach und nach modernisiert. Einige Gebäude sind inzwischen zu Denkmälern geworden, wie das Kirchliche Gemeindezentrum an der Kandinskyallee.
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Die Bebauung in Allermöhe, entstanden in zwei Bauabschnitten, ist die direkte Folge der Fehler, die man mit Großwohnsiedlungen wie Mümmelmannsberg gemacht hat. Im Ergebnis wurde hier nun weniger hoch gebaut und mit differenzierter Architektur. Diese orientierte sich noch stark an der Postmoderne, mit ihren verspielten Details.
Dass die Gebäude so unterschiedlich aussehen, ist den vielen unterschiedlichen Bauherren und entsprechend vielen, mit der Umsetzung beauftragen, Architekturbüros geschuldet. Beim Bau bisheriger Großwohnsiedlungen waren häufig nur ein oder zwei institutionelle Bauherren beauftragt. Trotzdem wurden in Allermöhe überwiegend Wohnungsbau mit gestützten Mieten umgesetzt.
Die Überlegung, an dieser Stelle zu bauen reicht weiter zurück. Schon Fritz Schumacher entwickelte dazu die ersten Ideen. Anfang der 1980er Jahre gab es eine Abwanderung in die ländlichen Gebiete rund um Hamburg. Dem wollte man mit Allermöhe etwas entgegensetzen. Die Geschosshöhen blieben niedrig und in einigen Teilen wirkt das Viertel sogar kleinstädtisch. Mit den Wasserflächen soll eine ähnliche Wohnqualität hergestellt werden wie in den Stadtteilen des Alstervorlandes. Vorlagen waren aber auch die Grachten in den Niederlanden. Davon zeugt die „Grachtenplatz“ benannte Fläche vor der Franz-von-Assis-Kirche.
Auch wenn Allermöhe gut 14 Kilometer Luftlinie vom Hamburger Stadtzentrum entfernt liegt, ist die Anbindung, durch die S-Bahn und die naheliegende Autobahn, sehr gut. Das alles führt dazu, dass der Stadtteil fast wie in einer gewachsenen städtischen Struktur wirkt und eine hohe Lebensqualität für etwa 23.500 Menschen zu bieten hat.
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Das Pergolenviertel dürfte das jüngste Hamburger Kiez sein. Auf einer Fläche östlich der City Nord gelegen, entstehen seit 2016 überwiegend niedriggeschoßige Wohnbauten. Das neue Viertel bezieht sich städteplanerisch auf ddn Ideen, wie sie in der Jarrestadt, genau 90 Jahre vorher, von Fritz Schumacher entwickelt worden sind.
Dabei umschließt die Blockbebauung einen grünen Innenhof. Dieser ist im Pergolenviertel offen zugänglich, bietet aber trotzdem eine gewisse Privatsphäre. Die Innenhöfe haben eine überschaubare Größe und sind klar gegliedert. Im Vergleich zur Jarrestadt haben die Gebäude im Pergolenviertel weniger Etagen.
Die Verwendung von weitgehend Rotklinker bezieht sich auch wieder auf die Jarrestadt. Die Torbögen zu den Innenhöfen sind zu einem unverwechselbaren Markenzeichen geworden, mit der sich die Bewohner*innen identifizieren können. Auch wirkt die Anlage dadurch hochwertig und durchdacht. Hier zeigt sich, dass eine emotionale Bindung über eine klar definierte Marke sich positiv auf das Zusammengehörigkeitsgefühl auswirken kann. Die Bezeichnung Pergolenviertel hat eine organische Verbindung zur Architektur und löst dadurch sein Versprechen ein. So wirkt dies nicht aufgesetzt.
Das Viertel wird durch den stark befahrenen Ring 2 in einen Nord- und Südteil getrennt. Auch darauf wurde städtebaulich klug reagiert. Angrenzend an die Straße befinden sich die verbliebenen Kleingärten und Grünflächen. Diese Puffern die, durch die Straße entstehenden, Emissionen ab. Der breite Fahrradweg verbindet nicht nur die beiden Teile, sondern gehört auch zum gerade entstehenden Radwegenetz der Stadt. Dadurch und mit den zwei direkt an den Baufeldern liegenden S-Bahn-Stationen Rübenkamp und Alte Wöhr, steht einem autoarmen Stadtviertel eigentlich nichts mehr im Weg. Das Pergolenviertel könnte als Vorlage für die zukünftigen Neubauviertel Grasbrook und Oberbillwerder werden. Die letzten Wohnungen im Pergolenviertel sollen bis 2024 fertiggestellt sein.
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Bauwerke prägen unsere Umwelt wie kaum etwas anderes. Doch welche klugen Köpfe stecken hinter den Gebäuden? Mit „Map of Architecture“ bringen wir hier Licht ins Dunkel. In Hamburg sind die Angaben von mehr als 12.000 Häusern verfügbar, in anderen Städten gibt es erste Einträge, z.B. in Kopenhagen.