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Woche #9

Architektur mit jüdischer Geschichte

„Rassenschande“ und „Enteignung“ sind Wörter die wir Deutschen sofort mit einer Zeit in Verbindung bringen die einige von uns einen „Vogelschiss der Zeitgeschichte“ nennen und am liebsten von Tisch wischen würden. Aber dies wird niemals möglich sein. 

An dieser Stelle möchten wir zeigen, dass auch Architektur zur Erinnerungskultur gehört. Dazu gehören die interessanten Berichte über die Entstehung und Nutzung der Gebäude. 

Mal wurde ein Geschäftshaus errichtet, mal eine Villa zur Synagoge umgebaut. Ebenso erstaunlich ist, und lange Zeit völlig vergessen, dass das reformorientierte Judentum in der Hamburg-Neustadt eine bis heute weltweit beachtete Keimzelle hatte – den Tempel in der Poolstraße. 

Dort wurde zum Beispiel eine gleichberechtigte Haltung gegenüber Frauen innerhalb der Glaubensgemeinschaft gelebt. Dies führt dazu, dass 1935 das erste Mal eine Frau das Amt als Rabbinerin Inne hatte. 

Dies ist nur eine Ebene mit der man den Verlust für die deutsche Gesellschaft deutlich machen kann. Am Ende geht es jedoch immer um die einzelnen Menschen die vertrieben und ausgelöscht wurden. So auch hinter jeder der Geschichten, zu den hier vorgestellten Gebäuden. 

Text: Jörg Stiehler/MoA

Israelitisches Krankenhaus

Das Israelitische Krankenhaus an der Simon-von-Utrecht-Straße wurde vom Hamburger Bankier Salomon Heine finanziert und 1841–1843 vom Architekten Johann Hinrich Klees-Wülbern erbaut. Die Klinik behandelte keineswegs nur jüdische Patient*innen und genoss über die jüdische Gemeinschaft hinaus einen ausgezeichneten Ruf. In ihrer fast 100-jährigen Geschichte wurde sie mehrfach durch Erweiterungsbauten vergrößert.  
 
Im Nationalsozialismus wurde die Arbeit des Krankenhauses dann zunehmend unmöglich gemacht. 1939 erwirkte die Stadt Hamburg die Enteignung aller Gebäude und des Grundstücks, die Klinik konnte nur noch in verschiedenen Ersatzquartieren in Rotherbaum weiter betrieben werden. Die Heinestraße, die das Krankenhaus mit der südlich gelegenen Reeperbahn verband, wurde 1938 umbenannt und heißt seitdem „Hamburger Berg“.
 
Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg als Kieferklinik und Lazarett betrieben. In der Nachkriegszeit wurde das stark bombengeschädigte Gebäude vereinfacht wiederhergestellt und zu verschiedenen gewerblichen Zwecken genutzt, verfiel aber zusehends. In den 1980er Jahren wurde es als Baudenkmal umfassend saniert und dient heute als Jobcenter.
Text: Hendrik Althoff

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Israelitischer Tempel Poolstraße

Hamburg war um 1800 eines der wichtigsten Zentren der jüdisch-liberalen Strömung, die das Leben der jüdischen Bevölkerung umfassend modernisieren wollte. In Hamburg vertrat dieses Programm seit 1817 der Neue Israelitische Tempelverband, eine der ersten Reforminitiativen überhaupt. 

Ab 1842 entstand unter Johann Hinrich Klees-Wülbern der Tempel im Hinterhof der Poolstraße 12 – der weltweit erste Synagogenbau des reformierten Judentums. Der Bau verkörperte architektonisch den Reformanspruch und orientierte sich deutlich am Aufbau einer evangelischen Kirche. 

Fast 90 Jahre lang diente der Bau als Synagoge. Nach 1931 noch als Lagerraum genutzt, musste die jüdische Gemeinde das Grundstück 1937 verkaufen. Im Novemberpogrom blieb der Tempel unbeschädigt, große Teile wurden 1944 jedoch durch eine Fliegerbombe zerstört. Nach dem Krieg diente der ehemalige Innenraum der Synagoge als Gewerbehof, u. a. für eine Autowerkstatt.

Heute sind noch mehrere Gebäudeteile erhalten, die die Stadt Hamburg 2020 angekauft hat. Derzeit wird über den Erhalt der Ruine ebenso diskutiert wie über die zukünftige Nutzung. Kleine Gedenktafeln erinnern an die Geschichte des Ortes, der jedoch derzeit nur im Rahmen von Veranstaltungen zugänglich ist.
Text: Hendrik Althoff

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Villa Heilbuth

Hertz Henry Heilbuth stammte aus Altona und gründete gemeinsam mit seinem Bruder vier Kaufhäuser in Hamburg. In der Feldbrunnenstraße ließ er sich 1909 ein repräsentatives Wohnhaus nach dem Entwurf der Architekten Hans und Oskar Gerson bauen – die heute noch erhaltene „Villa Heilbuth“. Nachdem er hier über 20 Jahre gelebt und das Haus noch 1932 von den Gebrüdern Gerson umbauen lassen hatte, verkaufte er es 1933. 

Heilbuth wurde im Juli 1938 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert und kam zwei Jahre später nur unter der Voraussetzung wieder frei, dass er unverzüglich das Land verließ. Die geplante Ausreise konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antreten. Am 7. Juli 1941 starb er im Alter von 71 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.

Der neue Eigentümer des Hauses, Verleger und SA-Mann Hans Krümmer, verkaufte es 1952 an die Stadt Hamburg, die dieses zur Einrichtung des neu gegründeten UNESCO-Instituts für Pädagogik benötigte. Heute wird das Gebäude durch die Universität Hamburg genutzt. Es steht unter Denkmalschutz, der Name „Villa Heilbuth“ und die Geschichte dahinter scheinen allerdings in Vergessenheit geraten. 
Text: Hendrik Althoff

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Talmud-Tora-Schule

Um 1800 bestand das jüdische Schulwesen in Hamburg aus mindestens 39 religiösen Privatschulen, die der religiösen Unterweisung und dem Hebräischunterricht dienten. Die 1805 in der Neustadt gegründete „Israelitische Armenschule der Talmud Tora“ sollte möglichst allen jüdischen Jungen einen Zugang zu dieser Erziehung ermöglichen. So war der Unterricht kostenlos, die Kinder erhielten in der Schule auch Mahlzeiten und bei Bedarf Bekleidung. 

Nach mehreren Umzügen in der Neustadt wurde 1911 der Neubau neben der Bornplatzsynagoge nach einem Entwurf von Ernst Friedheim eingeweiht. Hier wurden noch Mitte der 1930er Jahre über 800 Kinder von über 30 Lehrkräften unterrichtet, bevor die Schule 1939 geräumt und an die Stadt Hamburg verkauft werden musste. Hunderte Schülerinnen und Schüler und viele Lehrerende wurden ab 1941 deportiert und ermordet. Auch die Schule selbst diente als Sammelstätte vor den Transporten.

Nach 1945 wurde das Gebäude u. a. durch die Universität genutzt. Die Kulturbehörde ließ an der Fassade 1981 den Schriftzug „Talmud-Tora-Realschule 1911–1939“ anbringen. 2004 wurde es an die Jüdische Gemeinde in Hamburg zurückgegeben. Das heutige Joseph-Carlebach-Bildungshaus umfasst eine Ganztageschule mit gymnasialer Oberstufe, Kita und Vorschule.
Text: Hendrik Althoff

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Rappolthaus

Das Rappolthaus wurde 1912 von Fritz Höger als Firmensitz für Rappolt & Söhne erbaut. Das Familienunternehmen war einer der wichtigsten deutschen Produzenten für Herrenbekleidung und vor allem für Regenmäntel bekannt. Das Haus war Arbeitsplatz von über 600 Menschen und wie viele Kontorhäuser für damalige Verhältnisse hochmodern ausgestattet. 

Im Nationalsozialismus litt das Unternehmen schnell unter Umsatzrückgängen und politischer Diskriminierung. Der jüdische Mitinhaber Franz Rappolt wurde aus der Hamburger Handelskammer ausgeschlossen, ab 1936 wurde Rappolt & Söhne schrittweise enteignet.

Während Franz Rappolts Söhnen Ernst und Fritz die Flucht ins Ausland gelang, blieben seine späten Auswanderungsversuche ohne Erfolg. Sein Bruder Paul starb 1940 an einem Schlaganfall, seine Ehefrau Charlotte nahm sich 1941 das Leben, ebenso wie seine Brüder Otto und Ernst. Franz Rappolt wurde im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. 

Das Haus wurde nach teilweiser Zerstörung im Zweiten Weltkrieg vereinfacht wiederaufgebaut; der historisierende Schriftzug „Rappolt-Haus“ am Eingangstor wurde allerdings erst in den 1980er Jahren angebracht. Seit 2007 erinnert hier ein Stolperstein an Franz Rappolt. 

Notiz zum Architekten Fritz Höger: Ungeachtet seiner Zusammenarbeit mit jüdischen Auftraggebern war Höger engagierter Anhänger des Nationalsozialismus und äußerte sich auch nach 1945 noch klar antisemitisch.
Text: Hendrik Althoff

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Modehaus Glass

Der Kaufmann Hermann Glass hatte 1890 in der Neustadt ein Geschäft für Damenkonfektion eröffnet, 1910/1911 ließ er sich dann von Fritz Höger ein achtgeschossiges Geschäftshaus an der damals neu angelegten Mönckebergstraße errichten – das „Haus Glass“, dessen Name auch als Mosaik in den Bürgersteig eingelassen wurde. Ins Erdgeschoss zog Glass’ Modehaus ein, doch bereits wenige Jahre später ging das Geschäft in Konkurs und er betätigte sich fortan als Makler.

Nachdem Glass im Nationalsozialismus seine Lizenz verloren hatte, musste er das Haus 1939 an einen Hamburger Kaufmann verkaufen, konnte über den Erlös jedoch nicht frei verfügen. Die Eheleute Hermann und Martha Glass haderten lange mit einer Flucht ins Ausland, dann wurde ihr Antrag auf Emigration abgelehnt. 

Am 17. Juli 1942 wurden sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo Hermann Glass im Januar 1943 an Unterernährung starb. Martha Glass überlebte und wanderte in der Nachkriegszeit nach New York aus.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Kontorhäusern der Altstadt ist das Haus Glass noch weitgehend im Originalzustand erhalten. Auch das Mosaik im Bürgersteig hatte den Zweiten Weltkrieg überstanden, wurde jedoch in den 1950er Jahren entfernt.

Notiz zum Architekten Fritz Höger: Ungeachtet seiner Zusammenarbeit mit jüdischen Auftraggebern war Höger engagierter Anhänger des Nationalsozialismus und äußerte sich auch nach 1945 noch klar antisemitisch.
Text: Hendrik Althoff

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Sephardische Synagoge

Die ersten Jüdinnen und Juden, die sich um 1600 in Hamburg niederließen, waren Sepharden – Glaubensflüchtlinge von der iberischen Halbinsel (hebr. Sefarad) und ihre Nachkommen. Schon schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts wanderten die meisten „Portugiesen“ wieder aus. Eine kleine portugiesisch-jüdische Gemeinde aus etwa 150 Personen existierte jedoch weiterhin. Sie nutzte seit 1935 das Haus in der Innocentiastraße. 

Dabei handelt es sich um eine 1907 erbaute Privatvilla, in die nun eine Synagoge mit 130 Plätzen eingebaut wurde. Bereits Ende 1939 wurde die Synagoge jedoch geschlossen. Ab 1941 diente die Villa als so genanntes „Judenhaus“ zur zwangsweisen Zusammenlegung von Jüdinnen und Juden. Für 20 von ihnen war dies der letzte Wohnort vor ihrer Deportation. 

Die Villa an der Innocentiastraße war für lange Zeit die letzte Synagoge sephardischer Juden auf deutschen Boden. Die religiösen Einbauten wurden 1942 herausgerissen, eine Inschrift auf der Fassade entfernt. Seitdem wird das Gebäude wieder als privates Wohnhaus genutzt. Es steht unter Denkmalschutz, eine Gedenktafel gibt es hier nicht.
Text: Hendrik Althoff

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Synagoge Hohe Weide

Nach dem Zweiten Weltkrieg verfügte die neu gegründete Jüdische Gemeinde in Hamburg über keinen intakten Synagogenbau mehr und nutzte daher zunächst den Betraum in einem früheren jüdischen Wohnstift. 1956 stellte die Stadt Hamburg schließlich das Grundstück an der Hohen Weide für den Bau einer neuen Synagoge zur Verfügung, deren Grundstein am 8. November 1958 – 20 Jahre nach dem Novemberpogrom – von Bürgermeister Max Brauer gelegt wurde. 

Der 1960 eingeweihte Bau ist ein Entwurf der Architekten Karl-Heinz Wrongel und Klaus May, die damit einen von der jüdischen Gemeinde ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hatten. Er umfasst neben zwei Betsälen weitere Räume für die Gemeindearbeit, Wohnungen für Rabbiner und Kantor sowie eine Küche und eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad. 

Als Schutz vor antisemitischen Anschlägen steht die Synagoge seit den 1990er Jahren unter ständiger polizeilicher Bewachung, die Hohe Weide ist streckenweise für Autos gesperrt. Die jüdische Gemeinde bietet jedoch regelmäßig Führungen an. 
Text: Hendrik Althoff

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Dieser Beitrag ist in Kooperation mit Hendrik Althoff entstanden.

Hendrik Althoff forscht am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg zu Orten der jüdischen Stadtgeschichte im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Mit seinem Projekt "Überlebende Orte" stellt er historische Schauplätze jüdischen Lebens in Hamburg vor, die noch heute erhalten sind.

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Über uns

Bauwerke prägen unsere Umwelt wie kaum etwas anderes. Doch welche klugen Köpfe stecken hinter den Gebäuden? Mit „Map of Architecture“ bringen wir hier Licht ins Dunkel. In Hamburg sind die Angaben von mehr als 12.000 Häusern verfügbar, in anderen Städten gibt es erste Einträge, z.B. in Kopenhagen.